Moralische Fragen des Reisens I

Touringthemen, .... aber bitte nicht alles ernst nehmen hier!
eddie
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Re: Moralische Fragen des Reisens I

Beitrag von eddie »

Roman hat geschrieben: 27.05.2018, 22:50 Schon kurz nach Aufbruch entdeckte meine Frau einen blinden Passagier an Bord,
Ach so, nur eine Ameise, ich dachte schon an ein Säugetier.
Das Säugetier sollte ethisch höher bewertet und dementsprechend besser behandelt werden (in diesem Fall sollte nicht "Patsch" gemacht werden) als ein niederes Tier, wie ein Weichtier oder Insekt. Wenn es sich bei dem Tier um einen Floh oder Zecke gehandelt hätte, wäre man nicht in die moralische Bredouille gekommen. Aber so?
Ich habe neulich bei einer Radtour an der Elbe einen sich in der Sonne windenden Regenwurm gesehen. Nach zehn Metern bin ich wieder umgedreht und habe den Regenwurm an die Seite auf den feuchten Rasen gelegt. Wieder auf dem Campingplatz angekommen, habe ich das meinem Mann erzählt und der meinte, das hätte gar keinen Zweck gehabt, der Wurm wäre eh dem Tode geweiht.
Aber wenn man sich überlegt, dass man irgendwann vorm jüngsten Gericht steht und da dann eventuell auch Regenwürmer vertreten sind, dann hat man doch bestimmt gute Karten.
Ich bin dafür, dass Kerstin leben darf.
(Vielleicht bringen ja französische Ameisen auch einen Hauch savoir vivre und eine lässige Lebensauffassung (toujour liberté) mit, die den deutschen Artgenossen eventuell ihre ganze schöne, korrekte Arbeitswelt kaputt macht.)
Roman
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Re: Moralische Fragen des Reisens I

Beitrag von Roman »

Ich glaube, da verschätzt du die Franzosen von wegen Savoir Vivre und so. Das sind akkurate Korinthenkacker. Das mussten die Kölner leidvoll lernen. Als die unter Napoléon hier waren, haben die erst einmal Ordnung in den Schlampladen gebracht. Von wegen Häuser durchnummerieren und Recht und Ordnung. Ich sag nur Code Civil. Kaum waren die weg, wurde es nicht besser, da kamen nämlich die Preußen. Da war dann auch nix mehr mit Civil, nur noch Code und Nummern. An dem Doppeltrauma arbeiten sich die Kölner heute noch ab im Karneval. Die Uniformen der Roten und Blauen Funken haben darin ihre Vorbilder.

So richtig nach Napoléon machte Kerstin nicht den Eindruck. Eher irgendwie einsam. Vielleicht hat sie ja hier einfach Anschluss gefunden. Vielleicht mögen Ameisen keinen Individualismus und Freiheit. Gibt es ja bei den Menschen auch. Ich glaube, Kerstin suchte ihren Erdogan, oder Orbán. Wobei bei den Ameisen bekanntlich das Matriarchat herrscht.

Das Gefühl mit dem besseren Karma und dem Wurm kenne ich.

Bild

Am Platz in Gordes gab es einen beheizten Pool, was im Landesinnere zu der Jahreszeit ganz angenehm ist. Leider verunfallten in diesen jede Menge kleine Flügeltiere, vornehmlich Käfer. Der rudert dann noch ein bisschen, zappelt um sein Leben, das Zappeln wird immer langsamer, dann war's das. Immer, wenn ich im Wasser war, habe ich einen Ehrgeiz entwickelt, möglichst viele zu retten. Vielleicht aus Langeweile. Man musste sie nur an den Becken auf die warmen Steine setzen, da sind sie schnell getrocknet und dann weggeflogen. Irgendwie gab das ein Gefühl, was sinnvolles zu tun. Ich habe andere ältere Männer beobachtet, die haben dasselbe getan. Frauen nicht.

Aber einen anderen Gedanke fand ich daran interessant. Wenn du so als Käfer in einen Teich gefallen bist, dann ist deine Zukunft absolut aussichtslos, das war es dann mit dem Leben. Bestenfalls frisst dich noch ein Fisch. Also sozusagen die Lage von Kerstin. Und dann kommt plötzlich aus der Tiefe so ein zweibeiniger Gozilla, ein gigantisches Monster, formt seine Flossen zu einer Pfütze unter dir und trägt dich darin an den Rand des Beckens, um dich dort abzusetzen. Nur aus einer Laune, Langeweile heraus. Das ist absolut unwahrscheinlich, eigentlich völlig unmöglich, aussichtslos. Und trotzdem passiert.
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eddie
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Re: Moralische Fragen des Reisens I

Beitrag von eddie »

Roman hat geschrieben: 29.05.2018, 21:46 Ich habe andere ältere Männer beobachtet, die haben dasselbe getan. Frauen nicht.
Ich vermute, wenn kleine Katzenbabys oder ein Cockerspaniel in den Pool gefallen wären, dass dann auch ein paar Frauen aktiv geworden wären.
Roman hat geschrieben: 29.05.2018, 21:46 Wenn du so als Käfer in einen Teich gefallen bist, dann ist deine Zukunft absolut aussichtslos, das war es dann mit dem Leben....Und dann kommt plötzlich aus der Tiefe so ein zweibeiniger Gozilla, ein gigantisches Monster, formt seine Flossen zu einer Pfütze unter dir und trägt dich darin an den Rand des Beckens, um dich dort abzusetzen. Nur aus einer Laune, Langeweile heraus. Das ist absolut unwahrscheinlich, eigentlich völlig unmöglich, aussichtslos. Und trotzdem passiert.
Das ist eine schöne und versöhnliche Vorstellung, dass auch Käfer auf solche Wunder hoffen dürfen. :mrgreen: :thumbs:
road-movie
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Re: Moralische Fragen des Reisens I

Beitrag von road-movie »

Bild
Sommerlaune
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Re: Moralische Fragen des Reisens I

Beitrag von Sommerlaune »

Keine Ahnung, was das für ne App ist, ich installier mir ja nicht einfach irgendwas um s mir anzugucken, dennoch :thumbs: von mir für diesen Beitrag.
Meine Room-mate Spinnen bekommen immer einen Namen und klare Vergaltensanweisungen ( es wird nicht in meinem Gesicht herumgekrabbelt, mein Bett und die Decke direkt darüber sind tabu, etc.).
Ich bilde mir ein, sie verstehen was ich meine.
Hätte i h Kerstin in meinem Cookie, ich würde ihr gewisse Freiheiten lassen, zur besseren Orientierung zwischen den Fahrten eventuell den Stadtplan offen auf dem Tisch liegen lassen und eventuell auch darauf hinweisen, daß ich den WoWa selber bewohnen möchte und ihn nicht für Ameisengruppen freigebe.
Klare Absprachen beugen Missverständnissen vor.
Also, meistens.
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macgoerk
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Re: Moralische Fragen des Reisens I

Beitrag von macgoerk »

Roman hat geschrieben: 27.05.2018, 23:35
Helmut aus der Pfalz hat geschrieben: 27.05.2018, 23:31 Mein zweiter Gedanke: Was erlauben Roman, den Sinn des Ameisenlebens final zu definieren!? Wieso sinnfreies Suchen? Woher willst du das wissen?
...vielleicht gehört diese kleine Ameise 🐜 zu den vielen arbeitssuchenden südeuropäischen
Lebewesen die auf diesem Wege Ihrem Leben einen neuen Sinn geben will.
Ein gut ausgelasteter Ameisenhaufen im Regierungsbezirk Köln ist somit ein lohnenswertes Ziel.

... und überhaupt, über den weiteren Verlauf von Kerstin hören wir gar nichts mehr.

Was ist denn da los :?: :?: :?:
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Roman
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Re: Moralische Fragen des Reisens I

Beitrag von Roman »

Ich muss gestehen, dass ich nicht weiß, was aus Kerstin geworden ist. Am Abend der Ankunft habe ich nicht mehr an sie gedacht. Allerdings dürfte im Auto noch Nahrung für Monate vorhanden sein. Auch ist ärgerlicher Weise eine halbe Flasche Wasser im Fußraum vorne ausgelaufen. Tags drauf, beim Ausräumen des Autos, habe ich nichts mehr von ihr gesehen. Auch heute, als ich zum ersten Mal wieder im Kangoo gesessen habe, ist kein munteres Wesen herumgekrabbelt.

Also, entweder ist sie gefallen, oder aber hat den Aufbruch in ein neues Leben in Köln geschafft. Wir werden es wohl nie erfahren. Auch wenn ich die Tage es mal schaffe, das Auto auzusaugen, würde ich ihren kleinen Leichnam nicht erkennen auf den schwarzen Polstern und dem schwarzen Filz. Vielleicht landet sie auch dereinst mit den Resten des Kangoo im Hochofen und wird entweder CO2 oder Bestandteil einer Stahllegierung.
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Donbeppo
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Re: Moralische Fragen des Reisens I

Beitrag von Donbeppo »

Das riecht schwer nach Abtauchen. Hat wohl was zu verbergen, diese Kerstin... Hat mal jemand ihren Aufenthaltsstatus überprüft? Vermutlich hat sie die EU über einen Drittstaat betreten. Und erschleicht sich jetzt unter falschem Namen unser aller Zuwendung!
Grüße,
Mike
Nicole6
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Re: Moralische Fragen des Reisens I

Beitrag von Nicole6 »

Guten Morgen,

was soll ich dazu sagen. Hoffe du hast die richtige Entscheidung getroffen.

LG Nicole6
Nicole6
Roki ETC 317
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Re: Moralische Fragen des Reisens I

Beitrag von Roki ETC 317 »

Roman hat geschrieben: 29.05.2018, 21:46
So richtig nach Napoléon machte Kerstin nicht den Eindruck. Eher irgendwie einsam. Vielleicht hat sie ja hier einfach Anschluss gefunden. Vielleicht mögen Ameisen keinen Individualismus und Freiheit. Gibt es ja bei den Menschen auch. Ich glaube, Kerstin suchte ihren Erdogan, oder Orbán. Wobei bei den Ameisen bekanntlich das Matriarchat herrscht.
Wenn nun aber Kerstin von ihrem Staat gezwungen wurde euren Kango zu besteigen, so wie einst Napoleon auf ein Schiff verbracht wurde um nach St. Helena in den Ruhestand zu fahren?
Wahrscheinlich wird es ihr in Köln jetzt gehen wie Napoleon auf Helena. Ein wenig Frankreich ist immer noch da, wenn sie übers Trottoir zum Basseng :ALAAF: läuft und für die Nacht ein weggeworfenes Portmonnä :ALAAF: als Hotel nimmt. Das Wetter jedenfalls stimmt für ne Ameise.
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Reinhard
Roman
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Re: Moralische Fragen des Reisens I

Beitrag von Roman »

Ich glaube, Kerstin war keine Königin, die gehörte eher zum Fußvolk und wurde abkommandiert auf das Himmelfahrtskommando: "Volksgenossin Kerstin, besteigen Sie den mobilen Berg, der hier eingerollt ist und halten sie Ausschau nach Mampf!" Wir sollten uns nicht vormachen und Kerstin als für die Sache gefallen ansehen.
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Re: Moralische Fragen des Reisens I

Beitrag von eddie »

Roki ETC 317 hat geschrieben: 28.06.2018, 16:09 ,.... wenn sie übers Trottoir zum Basseng :ALAAF: läuft und für die Nacht ein weggeworfenes Portmonnä :ALAAF: als Hotel nimmt.
Das Bild mit dem Portemonnaie als Hotel finde ich super!
Das ist doch wohl der ideale Stoff für ein schönes Kinderbuch oder einen Comic: "Kerstin, die Ameise", ok. der Titel könnte noch origineller sein, aber die Story ist doch schon mal toll. Alternativ könnte ich mir auch die wundersame Käfer-Rettungs-Geschichte mit Godzilla vorstellen. So als Gute-Nacht-Bilderbuch für 2-4-Jährige. Ist doch mit dem Happyend psychologisch ganz aufbauend.
Roki ETC 317
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Re: Moralische Fragen des Reisens I

Beitrag von Roki ETC 317 »

Happyend wäre wenn Roman Kerstin wiederfindet und sie zum Kölner HBf bringt. Da startet der Thalys, 4 mal am Tag in 3 Stunden 20 nach Paris. Da wäre Kerstin wieder in ihrem Geburtsland. Sie könnte sich aber auch ins Bordbistro begeben, hätte genug zu essen und könnte zwischen den beiden schönsten Städten der Welt hin und her pendeln. :ALAAF: :wink:
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Sommerlaune
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Re: Moralische Fragen des Reisens I

Beitrag von Sommerlaune »

Kerstin als Frau...im Kölner Raum...für längere Zeit nicht auffindbar...
Na, wo isse wohl???

Shoppen!
Sommerlaune

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Re: Moralische Fragen des Reisens I

Beitrag von Roman »

Roki ETC 317 hat geschrieben: 29.06.2018, 16:40 Happyend wäre wenn Roman Kerstin wiederfindet und sie zum Kölner HBf bringt. Da startet der Thalys, 4 mal am Tag in 3 Stunden 20 nach Paris. Da wäre Kerstin wieder in ihrem Geburtsland. Sie könnte sich aber auch ins Bordbistro begeben, hätte genug zu essen und könnte zwischen den beiden schönsten Städten der Welt hin und her pendeln. :ALAAF: :wink:
Weiß nicht. Die Idee kommt mir nicht so gut vor. Wenn dann die Kerstin in Paris ankommt, hat sich kaum was gewonnen. Näher an der Heimat ist sie nicht wirklich. Wir können auch nicht davon ausgehen, dass für Ameisen die gleichen national-kulturellen Grenzen gelten wie für uns. Vermutlich ist ihr Paris so fremd wie Köln. Immerhin ist sie ja ein Landei. Sie müsste also erst einmal quer durch Paris zu einem anderen gare de wasweißich, wo dann der Zug in die Provence abgeht. Wie soll sie das denn schaffen?

Besser wäre, wenn ich ein sie in ein gut gepolstertes und belüftetes Päckchen setzen würde. Mit Nahrung und einem mit Wasser getränkten Schwamm. Das würde ich dann an die CP-Betreiber schicken mit einem Begleitschreiben, sie möchten bitte die kleine Ameise Kerstin (können sie wahrscheinlich gar nicht richtig aussprechen) an die hintere Ecke ihres Platzes bringen, dort wo immer das Wasser steht bei Starkregen. Wir hätten sie versehentlich mitgenommen, dort aber sei ihr Heimatstaat.

Wenn ich noch einen Muffin und vielleicht eine Kölner Leberwurst dazulegen würde, könnte sie als der Held, also die Heldin, dort ankommen mit dem ganz großen Ding. Beides müssten dann natürlich die Betreiber dorthin verbringen. Ich könnte es im Begleitschreiben erklären.

Wobei das natürlich gut gedacht ist, aber nicht ohne Risiko. Ich befürchte, ich weiß gar nicht mehr so genau, wie Kerstin ausgesehen hat. Wenn ich jetzt einer Verwechslung aufsitze und eine falsche Ameise einpacke?! Dann würde eine Kölner Ameise ihres Staates und ihrer Heimat entrissen. Und es käme noch schlimmer! Was passiert mit einer staatsfremden Ameise, abgesetzt neben einem Bau? Massakriert würde sie werden und an die Brut verfüttert.
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